Die Stromwende schreitet voran

 

Die Stromwende schreitet voran

Im Landkreis Cochem-Zell haben sich private und gewerbliche Betreiber von regenerativen Stromerzeugungs-Anlagen erstmals in Rheinland-Pfalz zu einem „virtuellen Kraftwerk“ zusammengeschlossen. Unter der Marke „Landstrom“ können Bewohner und Gewerbe zu 100 Prozent Strom aus der Region beziehen.

Die Stromwende im Landkreis Cochem-Zell ist im vollen Gange. Schon heute produzieren dort Wind, Sonne und Biomasse insgesamt betrachtet fast doppelt so viel Strom, wie dort verbraucht wird. „Wie kann es gelingen, den bilanziell vorhandenen, regenerativen Strom-Überschuss möglichst umfassend für unsere Energieversorgung vor Ort zu nutzen?“, sinnierte der frühere Landrat Manfred Schnur anlässlich der Betriebsaufnahme des virtuellen Kraftwerks im Sommer 2021.

Schon früh hatten sich Politik und Verwaltung im Landkreis Cochem-Zell der Energiewende den Weg bereitet. 2008 hatte der Kreistag Cochem-Zell einstimmig das Ziel formuliert: „Wir wollen Null-Emissions-Landkreis werden!“ Als Ziel wurde seinerzeit formuliert, bis zum Jahr 2020 bis zu 50 Prozent der CO2-Emissionen bezogen auf das Jahr 1990 auszugleichen und langfristig den vollständigen Ausstoß zu kompensieren. Dies sollte insbesondere durch Energieeinsparung, -effizienz und -suffizienz sowie den Einsatz Erneuerbarer Energien bei der Strom- und Wärmeversorgung erfolgen.

Der Zusammenschluss regenerativer Energiequellen zu einem virtuellen Kraftwerk ist in dem Kontext ein nächster, konsequenter Schritt. Von den ersten Überlegungen 2015 bis zum Start des virtuellen Kraftwerks gingen allerdings sechs Jahre ins Land. Ideengeber war seinerzeit Professor Ralf Simon von der Transferstelle Bingen, der sowohl bei der Konzepterstellung als auch bei der vom Land geförderten Umsetzung unterstützte. Um Erzeugung und Verbrauch in Einklang zu bringen, wurden zunächst die Auswirkungen der Vernetzung unterschiedlicher Anlagen und Verbrauchsmuster im Rahmen eines öffentlich geförderten Klimaschutzteilkonzepts untersucht, um die Integration des lokal erzeugten Stroms zu stärken.

Eigenbetrieb koordiniert

Zugleich wurde ein Geschäftsmodell entwickelt, um die Umsetzung und Vermarktung des Regionalstroms voranzutreiben. Die Projektkoordination, Finanzierung und Umsetzung hat der Eigenbetrieb Klima & Energie der regionalen Kreiswerke Cochem-Zell übernommen , in Kooperation mit der lokalen Energieagentur „unser-klima-cochem-zell e. V.“.

Die Lizenz zum Betrieb des virtuellen Kraftwerks wurde zunächst befristet für drei Jahre an die VSE AG aus Saarbrücken zu übertragen. Dies stellt gleichzeitig die erste Stufe des Geschäftsmodells zur Markteinführung dar. Die VSE betreibt das Kraftwerk und vermarktet den Strom gemeinsam mit der Unternehmenstochter Energis. Als Stromhändler ist die VSE auch Vertragspartner der Anlagenkunden.

Bürgerbeteiligung angestrebt

Für die Zukunft ist beabsichtigt, in der nächsten Stufe eine kommunal getragene Gesellschaft mit Beteiligung der VSE als Stromhändler zu gründen. Hieran könnten sich dann auch Bürgerinnen und Bürger über eine Energiegenossenschaft beteiligen, um die regionale Wertschöpfung bestmöglich zu gestalten.

Aktuell besteht das Kraftwerk aus neun Anlagen mit rund 28 Megawatt Erzeugungsleistung, darunter die Freiflächen-Photovoltaik-Anlage der Ortsgemeinde Büchel. Damit könnten rund 10.000 Haushalte – das sind etwa ein Drittel der Haushalte im Landkreis – versorgt werden. Ziel ist es, weitere Erzeugeranlagen hinzuzugewinnen und damit die Anlagenleistung zu steigern.

Günstiger Strom aus der Region

„Die Kreisenergiegesellschaft verfolgt die Absicht, selbst grüne Energieprojekte im Kreisgebiet umzusetzen und alle Wertschöpfungsstufen eines Projekts optimal auszunutzen“, sagt Falko Fischer, Geschäftsführer der Kreisenergiegesellschaft. „Insbesondere der Vertrieb des grünen Regional-Stroms über das virtuelle Kraftwerk ist ein besonders wichtiger Punkt für uns. Alle Menschen im Landkreis sollen die Möglichkeit haben, Strom in ausreichender Menge und zu einem günstigen Preis aus unserem Landkreis Cochem-Zell zu beziehen.“ Ein weiterer Meilenstein im Gesamtprojekt wäre die Integration kleiner Erzeugeranlagen ab zirka zehn Kilowatt-Peak (kWp) sowie die Überführung des Kraftwerks in eine lokal getragene Gesellschaft.

Aber auch auf Seiten der Stromkunden nimmt das Interesse weiter zu. Im Mai 2023 ging das lokale Stromprodukt „Landstrom – 100 Prozent aus und für CochemZell“ an den Markt. „Anfang 2024 liegen die Anschlusszahlen im Zielkorridor“, sagt Nicole Jobelius-Schausten, Netzwerkmanagerin Klimaschutz bei den Kreiswerken. Durch verschiedene öffentlichkeitswirksame Aktivitäten und intensives Marketing, wie ein Wettbewerb und eine Aktion „Kunden werben Kunden“, solle die Strommarke nun im Landkreis etabliert werden.

Weitere Projekte in den Startlöchern

„Wenn wir unsere ambitionierten Klimaschutzziele erreichen wollen, müssen wir unsere Potenziale voll ausnutzen – und zwar in allen Sektoren“, betont Landrätin Anke Beilstein. Gerade mit Blick auf die Krisen in der Welt, seien Versorgungssicherheit und regionale Wertschöpfung hohe Güter. Und die Landrätin ergänzt: „Mit der Kraft von Wind, Sonne und. Biogas wird der Landstrom hundertprozentig nachhaltig, direkt in der Region erzeugt und steht exklusiv den Anwohnerinnen und Anwohnern des Landkreises Cochem-Zell zur Verfügung.“

Andere Kommunen in Rheinland-Pfalz orientieren sich am Beispiel des Projektes im Landkreis Cochem-Zell. „Sie haben sich das gleiche Ziel gesetzt und wollen ihre Versorgung über ein virtuelles Kraftwerk und diverse regenerative Stromerzeugungsanlagen größtenteils auf eigene Beine stellen“, weiß Professor Simon. „Solche Projekte gibt es beispielsweise im Landkreis Rhein-Hunsrück, in den Verbandsgemeinden Ransbach-Baumbach, Schweich, Birkenfeld, Bad Bergzabern, Alzey-Land, Sprendlingen-Gensingen und in den Zweckverbänden zur Abwasserreinigung in Rheinhessen, Untere Selz, Wöllstein-Wörrstadt beziehungsweise in dem Wasserversorgungszweckverband Osthofen.“ Weitere Projekte seien im Gespräch und würden demnächst wahrscheinlich starten.

 

Kommunen Machen Klima – Nachmachen erwünscht!

Klimawandel und Energiewende sind Herausforderung und Chance zugleich. Den Kommunen kommt bei ihrer Bewältigung eine zentrale Rolle zu – sie gestalten mit ihren Entscheidungen, Maßnahmen und Projekten die Zukunft ihrer Bürgerinnen und Bürger. Und sie sind in vielen Fällen Vorbilder beim Einsatz für den Erhalt einer lebenswerten Umwelt.

Eine Reihe von besonders gelungenen Beispielen präsentieren wir nun regelmäßig an dieser Stelle: erfolgreiche Projekte, innovative Lösungen, ermutigende Erfolge, Chancen für die Zukunft. Alle zwei Wochen, immer dienstags finden Sie hier einen neuen Beitrag – verbunden mit der Hoffnung, dass die vorgestellten Taten möglichst viele Nachahmer finden werden. Denn der interkommunale Austausch kann Klimaschutz, Energiewende und eine klimaangepasste Entwicklung beflügeln. Kurz: Nachmachen ist ausdrücklich erwünscht!

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