Neobiota

Als Neobiota werden Tier- und Pflanzenarten bezeichnet, die an einen neuen, ihnen fremden, Standort gelangen und sich dort erfolgreich ansiedeln. Weltweit steigt die Zahl an Neobiota. Vor allem durch Personen- und Warentransport können sich Arten ausbreiten. Sind Neobiota besonders gut darin, sich an einem neuen Standort zu vermehren, können sie zum Problem für die heimischen Ökosysteme werden, beispielsweise indem sie einheimische Arten verdrängen. Die Art wird dann als invasiv bezeichnet. Auch wenn die Verbreitung neuer Arten ohne den Klimawandel stattfinden würde, begünstigt dieser dennoch die Etablierung. So verursachen extreme Witterungsereignisse häufig Störungen in Lebensräumen, wie zum Beispiel Überflutungen, Austrocknung oder Freiflächen, in denen sich Neobiota besonders leicht ansiedeln können.

Zusätzlich ermöglichen es die wärmeren Temperaturen und milderen Winter besonders wärmeliebenden Arten sich zu etablieren. So kann beispielsweise die Beifuss-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) erst durch die inzwischen verlängerte Vegetationszeit die Samenreife erlangen. Das Oberrheingebiet zählt zu den wärmsten Regionen Deutschlands und ist gleichzeitig durch intensiven Waren- und Personenverkehr von Südeuropa nach Deutschland gekennzeichnet. Dadurch bietet das Gebiet ein ideales Einfallstor für Neobiota aus südlich der Alpen gelegenen Regionen.

Neben der Verdrängung anderer Arten können Neobiota auch auf andere Weise zur Gefahr für die neu besiedelten Lebensräume werden. Beispielsweise können sie Überträger von Krankheitserregern sein, gegenüber denen sie selbst möglicherweise immun sind, die für heimische Arten aber im schlimmsten Fall tödlich sein können. Negative Auswirkungen durch Neobiota können auch durch die Veränderung von Nährstoffkreisläufen und Infrastrukturen (z. B. Dämme), Störung von Interaktionen zur Vermehrung undNahrung heimischerArten oder auch Gefährdungen der menschlichen Gesundheit durch neue Allergene umfassen.

 

Das Themenheft „Invasive Arten des Landesamtes für Umwelt Rheinland-Pfalz erläutert die begriffliche Abgrenzung, Verbreitung und Auswirkung von invasiven Arten. Zusätzlich zeigt es anhand ausgewählter Beispiele auf, welche invasiven Tier- und Pflanzenarten es in Rheinland-Pfalz gibt oder es in Zukunft geben könnte.

Für die im Themenheft gezeigten Arten gibt es eine gesetzliche Handlungsverpflichtung gemäß der EU-Verordnung 1143/2014. So gilt beispielsweise ein umfassendes Verbot von Einfuhr, Haltung, Zucht, Transport, Erwerb, Verwendung, Tausch und Freisetzung. Bereits etablierte Arten sollen kontrolliert und an einer weiteren Ausbreitung gehindert werden.

Zur effektiven und schnellen Früherkennung noch nicht in Rheinland-Pfalz vorkommender und zur Kontrolle bereits etablierter Arten ist es besonders wertvoll, wenn eine aufmerksame Bevölkerung Beobachtungen meldet. Eine Plattform dafür bietet das Artenfinder-Portal der Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz: https://artenfinder.rlp.de/. Zur handlichen Anwendung im Freiland steht das Meldeportal auch als App zur Verfügung.

 

Ausbreitung invasiver Neophyten in Rheinland-Pfalz

In mehreren studentischen Abschlussarbeiten bzw. Fallstudien wurden an der Universität Koblenz-Landau Untersuchungen zu Vorkommen und Ausbreitungsdynamik ausgewählter invasiver Neophyten durchgeführt (Universität Koblenz-Landau, Geoökologie & Physische Geographie, PD Dr. Constanze Buhk, Link zu den Publikationen). Dabei wurde – soweit möglich – auch versucht, Zusammenhänge mit wahrscheinlichen klimatischen Veränderungen aufzuzeigen. Die Ergebnisse und weitere Hintergrundinformationen zu Ausbreitungsmechanismen krautiger Neophyten sind in der Publikation „Klimawandel in Rheinland-Pfalz – Themenheft Krautige Neophyten zusammengefasst.

Ausgewählte Beispiele sind im Folgenden dargestellt:

 

Japan Knöterich

Eine Literaturstudie zur Verteilung der Hybride des Japan Knöterich Artkomplex (Fallopia japonica s.L.) in Rheinland-Pfalz sowie zur unterschiedlichen Aggressivität im Wachstum gegenüber Konkurrenten ergab, dass die meisten Bestände inzwischen dem Hybrid Fallopia x bohemica angehören. Dazu war eine genetische Bestimmung notwendig, nachdem sich herausgestellt hatte, dass 40 % der laut morphologischer Bestimmung vermeintlichen Fallopia japonica-Bestände in Wirklichkeit bereits dem Hybrid angehören. Dieser Anteil ist höher als bisher beschrieben. In dem erhobenen Datensatz waren die meisten Hybride genetische Individuen, selbst bei großer räumlicher Nähe der Bestände. Das zeigt, dass die sexuelle Ausbreitung regelmäßig vorkommt. Da erst seit ca. 10 Jahren Samen tragende Pflanzen gefunden werden, kann von einem rezenten, erst beginnenden Prozess ausgegangen werden. Eine weitere Intensivierung und Beschleunigung der Ausbreitung durch Wind und andere sich ändernde Klimaparameter, wie vermehrter Niederschlag im Winterhalbjahr, auch außerhalb der bisherigen Verbreitungswege entlang von Flüssen oder Wegen ist daher anzunehmen.

Entsprechend eines einfachen Aggressivitätsindex (bezieht Bestandsgröße, Ausbreitungsintensität und Vegetationsdeckung im Innern mit ein) zeigen die Hybride ein besonders hohes Potenzial, aggressiv zu wachsen. Besonders Hybride höherer Generation (Rückkreuzungen) können deutlich aggressiver wachsen als die Elternarten. Beim Vergleich der Standortbedingungen zeigt sich, dass besonders aggressives Auftreten durchaus mit besserer Nährstoffversorgung (N ges = Stickstoff gesamt und Leitfähigkeit) zusammenhängt, dass aber die genetische Beschaffenheit der Hybride die wichtigere Rolle spielt. Auch auf stickstoffarmen Standorten treten ausgesprochen aggressive Bestände auf.

Die Daten zur sexuellen Ausbreitung und zu den Etablierungsexperimenten seien hier kurz zusammengefasst. Ein Großteil der bestimmten Bestände wurde im Herbst 2012 erneut aufgesucht und auf Samen hin untersucht. Bestände, an denen eine mittlere oder hohe Zahl an Samen zu finden war, wurden abgesammelt. Von den ca. 50 beprobten Beständen trugen nur gut 1/5 viele Samen. Die Keimraten waren sehr hoch. Extrem kalte Temperaturen und längere Phasen warmer Temperaturen, gefolgt von Kälte, waren für fast alle gesammelten Bestände limitierend. In den Etablierungsexperimenten unter besonders trockenen oder dunklen Verhältnissen zeigten sich recht hohe Toleranzen gegenüber diesen Faktoren. Es wurde eine Übersicht in GIS erstellt, welche Standorte in Rheinland-Pfalz für die Besiedlung mit dem Japanknöterich in Frage kommen.

 

Drüsiges Springkraut

Das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera) scheint sich nicht nur in Auenwiesen massiv weiter auszubreiten, sondern auch an Störstellen in Wäldern. Untersuchungen zufolge sind die Standortbedingungen sehr vielfältig und die Lichtverhältnisse beeinflussen mutmaßlich die Dichte der Bestände. Die Art scheint nahezu das gesamte Spektrum der in Rheinland-Pfalz vorkommenden pH-Werte abzudecken. Anhand dieser Parameter wurde eine GIS-basierte Auswertung durchgeführt, die das mögliche Verbreitungsgebiet in Rheinland-Pfalz aufzeigt.

In weiteren Studien wurden Standortparameter und Vegetation in stark invadierten Bachtälern und unbesiedelten Gebieten bestimmt und anschließend Experimente zur Etablierung typischer Konkurrenzarten unternommen sowie Untersuchungen zur Aktivität der Bodenlebewesen durchgeführt. Somit wurden die Effekte der Besiedlung und die Konkurrenzmechanismen genauer unter die Lupe genommen.

 

Armenische Brombeere

Die Datenlage bei der Armenischen Brombeere (Rubus armeniacus) ist unzureichend. Viele Parameter lassen sich in der dichten, dornenbewehrten Vegetation nicht oder nur schlecht erfassen. Die Problematik der Bestimmung erhöht die Schwierigkeit einer soliden Kartierung. Die Hypothesen zum aktuellen Vorkommen der Art konnten nicht bestätigt werden. Die Armenische Brombeere stellt einen Großteil der Vegetation in durch Nutzungsaufgabe betroffenen Gebieten, wie z.B. Obstbaumwiesen oder alte Weinberge, dar. Dabei kommt sie sowohl in Auen als auch in Trockenrasen vor (wie z.B. auf dem Ebenberg bei Landau). Eine besondere Dichte entlang größerer Straßen konnte nicht festgestellt werden. Die Vogelausbreitung macht die Art ungeheuer mobil. Eine Kartierung über Luftbilder hat sich als nicht sehr erfolgreich erwiesen. Im Innern der Bestände herrscht nahezu absolute Dunkelheit und es kommt keine andere Vegetation vor. Präferenzen bezüglich Standort und Gebiet innerhalb der Pfalz wurden untersucht und auf dieser Grundlage im GIS die mögliche Verbreitung in Rheinland-Pfalz dargestellt.

 

Amerikanische Kermesbeere

Vor über 10 Jahren begann die Amerikanische Kermesbeere (Phytolacca  americana) sich in der Südpfalz auszubreiten. Das bis zu drei Meter hohe, krautartige Gewächs stammt ursprünglich aus dem Osten Nordamerikas. Vermutlich schleppten in Rheinland-Pfalz stationierte Truppen der US-Armee die Samen ein. So konnte sich der für den Menschen hoch toxische Neophyt vor allem in Windwurfflächen mit Borkenkäferbefall und durch Vogelverbreitung rasch vermehren und rückt nun in ungestörte Waldbereiche vor. Studien ergaben, dass Phytolacca americana geringe Standortansprüche hat. Neben einem geringen Lichtbedarf benötigt die Pflanze zusätzlich wenig Nährstoffe, was sich darauf auswirkt, dass sie in Rheinland-Pfalz auf sehr sandigen und sauren Böden wächst. Klimatisch gesehen deckt die Pflanze ein großes Spektrum ab und kommt im Südosten des Landes in Höhenlagen von 100 bis 500 m über NN vor. Dies bedingt, dass verschiedenste Arten von Waldstrukturen invasiv besiedelt werden können. Ihre Robustheit zeigt sich darin, dass kleine Pflanzen kaum dürreanfällig sind und somit im Klimawandel weniger vulnerabel sein werden als andere Arten. 

Die invasive Eigenschaft der Pflanze drückt sich in einer größeren Konkurrenz zu anderen Pflanzen aus, da Phytolacca americana Ökosysteme und Nährstoffkreisläufe aufgrund der Allelopathie verändert. Diese verhindert beispielsweise das Wachstum der Mykorrhiza- und Mikroorganismenaktivität. Hinzu kommt, dass sie anderen Pflanzen das Licht entnimmt, weshalb am Boden unterhalb eines dichten Phytolacca-Bewuchses maximal 2-10 % der Strahlung ankommen. Zur besseren Verortung wurde mit Hilfe von GIS eine Karte zum möglichen Verbreitungsgebiet der Kermesbeere erstellt.